Day: 28. Juli 2011

R.I.P.


 

Keine Sorge, es ist kein mir bekannter Zweibeiner dahingeschieden – zumindest nicht dass ich wüsste. Nur diese kleine Wespe – gestern, auf dem Rand meiner Badewanne, nachdem ich versehentlich auf sie getreten war. Sie lebte zunächst noch, trotz dass sie (wohl unfreiwillig) unter meinen nackten Fuß geraten war – mein Lebendgewicht reicht wohl derzeit nicht mal aus, um eine Wespe mit einem Tritt ins Jenseits zu befördern.

Also legte ich sie auf den Rand meiner Badewanne – unschlüssig, ob ich ihrem leben ein Ende bereiten sollte, oder sie sich vielleicht doch wieder erholen würde. Ihre Fühler und Beine bewegten sich schwach, als ich das Bad verließ. Irgendwann hatte ich sie vergessen und wurde mir ihrer Existenz erst wieder bewusst, als ich das nächste Mal das Bad betrat. Doch mittlerweile war sie tot – verstorben auf meinem Wannenrand, in einer Wohnung irgendwo in einer kleinen Stadt. Namenlos und allein. Niemand außer mir wusste von ihrem Tod und niemand würde sie vermissen. Wirklich niemand?

Warum schreibe ich das jetzt alles? Nun, vielleicht weil man dieser Tage – nach den fürchterlichen Ereignissen in Norwegen, dem jähen Ende einer jungen Sängerin und der Tatsache, dass in Somalia aktuell mehr Menschen verhungern denn je und noch mehr vom Hungertod bedroht sind – nur schwer am Thema Leben und Tod vorbeikommt. Man wird sich wieder intensiver der eigenen Existenz bewusst und auch der eigenen Sterblichkeit. Das Bewusstsein, wie schnell das Leben vorbei sein kann und wie unbedeutend die eigenen Probleme sind, im Gegensatz zu den existenziellen Sorgen, von denen andere geplagt werden.

Während ich über Leben und Tod und die kleine Wespe nachdenke – deren Tod ich vielleicht hätte verhindern können, wenn ich achtsamer gewesen wäre – sitze ich bei meinem Lieblingsitaliener und trinke einen Espresso. Am Tisch vor mir eine Mama mit drei Kindern. Jungs im Kindergartenalter – alle drei strohblond und mit blauen Augen. Jeder hält eine Eiswaffel in der Hand – in jeder Waffel eine Kugel Waldmeistereis, als hätten sie sich heimlich verschworen. Sie sitzen noch nicht lang am Tisch, als die Mama dem Jüngsten ihre Hilfe anbietet, schnell seine Eiswaffel nimmt und eine ordentliche Portion ableckt. Ich kann nicht sehen, ob dem Filius wirklich sein Eis davonzulaufen droht, oder ob es ein Reflex der Mama ist, aber ich erinnere mich in diesem Moment daran, wie oft ich früher am Eis meiner Süßen geschleckt habe, unter dem Deckmäntelchen doch nur helfen zu wollen. Kaum ist das Eis im Mund der Mama verschwunden, protestiert der Sprössling lautstark und ich muss unvermittelt lächeln. Jaaa – das ist Leben live :-)